Warum es nicht immer sinnvoll ist, bei einem Muttersprachler Norwegisch zu lernen
Ein guter Übersetzer, so lautet eine weit verbreitete Meinung in Übersetzerkreisen, sollte ja eigentlich nur von einer Fremdsprache in seine Muttersprache übersetzen, nicht andersherum, eben weil man, wenn überhaupt irgendwo, in seiner Muttersprache im wahrsten Sinne des Wortes der geborene Profi ist - das nennt man Muttersprachlerprinzip.
Ebenso gehen viele Sprachschüler mit genau dem Wunsch – oder der Erwartung – an einen Norwegischkurs heran, er müsse unter allen Umständen von einem Norweger gehalten werden, sonst lerne man die Sprache ja nicht richtig. Schließlich dürfen eure Kinder auch nur auf eine Schule gehen, an der ausschließlich waschechte Engländer und Franzosen den Fremdsprachenunterricht halten. Als Nachhilfelehrer kommt ja auch nicht irgend ein Abiturient, sondern nur ein kanadisches Au-Pair in Frage. Und euer Latinum habt ihr immerhin auch bei einem originalen alten Römer gemacht.
Oder? Nicht? Dann denkt mal bitte drüber nach, warum denn so uuunbedingt euer Norwegischkurs bei einem Norweger stattfinden muss. :-)
Obwohl ich beim Übersetzen weitgehend das Muttersprachlerprinzip befürworte, möchte ich hier einmal eine Lanze brechen für die vielen tollen deutschen Fremdsprachenlehrer. Den zahlreichen Sprachkurs-Interessenten, die so starr auf ihrer Norweger-Forderung beharren, möchte ich gern zeigen, dass es auch Vorteile bringen kann, einen deutschen Lehrer zu haben, und dass man für guten Unterricht und prima Lernerfolge nicht sofort ins Ausland ziehen muss. Je nach Lernertyp kann das alles natürlich variieren!
Dazu habe ich ein paar Aussagen zu dem Thema sinngemäß aus dem Gedächtnis zusammengetragen, größtenteils aus Norwegisch-Gruppen von Facebook:
„Ich möchte nur bei einem Norweger lernen, denn der kann die Sprache 100 %ig richtig.“
Das wollen wir doch hoffen. Was der Norweger jedoch auf keinen Fall kann, der deutsche Lehrer aber schon, ist, sich zu erinnern, wie es sich anfühlt, selbst Norwegisch als Fremdsprache zu lernen. Das musste er nämlich nie. Wie soll er euch also verständlich machen, wie ihr etwas in euren Kopf bekommt, von dem er gar nicht weiß, wie es in seinen gekommen ist?
Oder könnt ihr euch erinnern, wie ihr als Kind Deutsch gelernt habt? Habt ihr Vokabeln, Aussprache und Grammatikregeln gepaukt? Nein? Der Norweger bei sich auch nicht. Der weiß also gar nicht, was vielleicht extra schwierig ist, wie man welche Besonderheit am besten lernt oder was überhaupt aus deutscher Sicht eine Besonderheit ist, welche Eselsbrücken und Beispiele sinnvoll sind und wie viel Stoff auf einmal zumutbar ist.
Der deutsche Lehrer weiß das. Der war mal in genau der selben Situation wie ihr und weiß deshalb sehr genau, um welche Ecken ihr denkt und warum ihr z. B. gewisse Fehler immer wieder macht. Wahrscheinlich hat er die Fehler anfangs sogar alle selbst gemacht. Somit kann er euch Erfahrungsberichte und Fehlerbeseitigungsstrategien aus dem eigenen Lernprozess mit auf den Weg geben – wenn das keine super Hilfestellung ist!
„Man muss bei einem echten Norweger lernen, damit man die Aussprache perfekt lernt.“
Lernt man sowieso nicht. Solange du ein Lehrbuch nutzt, was du höchstwahrscheinlich tust, sprichst du, was du liest, nicht, was du hörst. Glaub mir. In einem zukünftigen Blog-Eintrag werde ich das genauer erklären. Den Unterschied zwischen einem deutschen Norwegischlehrer und einem norwegischen kannst du am Anfang gar nicht erkennen (außer ggf. im Dialekt), da sicherlich niemand hier professionell unterrichtet, der keine Ahnung von Linguistik hat.
Meine Kurse damals waren übrigens bei einem Muttersprachler. Es gibt unglücklicherweise alte Tonaufnahmen aus der Anfangszeit, und ausnahmslos alle sprachen mit dem vorstellbar dicksten deutschen Akzent. Schüler, die aus anderen Muttersprachler-Kursen jetzt in meinen Unterricht kommen, sprechen ebenso. Menschen, die ich zum ersten Mal nach monatelangem Norwegenaufenthalt habe sprechen hören, sprachen ebenso. KEIN Lerner spricht wie ein Norweger, egal, wo oder von wem er lernt.
Und das ist kein ausschließlich deutsches Phänomen: Den ERASMUS-Studenten, die ich in Norwegen getroffen habe und die dort (vor Ort und ausschließlich!) bei Muttersprachlern Norwegisch gelernt haben, konnte ich ohne zu fragen ihr Herkunftsland zuordnen, weil man ihre Akzente noch so deutlich hörte. Und das ist auch nicht schlimm!
Die Gleichung geht also nicht auf. Insbesondere die Aussprache-Feinheiten werden erst nach und nach ausgebügelt, nämlich erst dann, wenn das Lerner-Hirn so weit ist, dass es von „Inhalt verstehen“ auf „Klang analysieren“ umstellen kann, und das dauert seine Zeit. Vielleicht Jahre. Schau dir bis dahin doch schon mal die Übersichten zu stummen Konsonanten und dem norwegischen R an oder trainiere dein Hörverständnis mit echten norwegischen Sprechern, z. B. mithilfe von norwegischer Musik.
Zu Beginn ist es also relativ irrelevant, wie dein Lehrer spricht. Und ganz falsch können wir alle hier ja nicht reden, sonst hätten wir unser Studium wohl nicht bestanden.
„Ein deutscher Lehrer kann das alles doch gar nicht perfekt können. Das ist so komplex.“
Anekdote aus der Anglistik: Ich habe mit Menschen Englisch studiert, die im 9. Semester noch kein “th” ordentlich aussprechen konnten, von Wörtern wie “preface”, “owl” und “victual” ganz zu schweigen. Und die unterrichten heute eure Kinder. DAS ist grob fahrlässig und lässt einiges an Komplexität zu wünschen übrig. Und das nehmt ihr doch auch einfach hin, oder nicht?
Aber richtig: Perfekt ist der deutsche Möchtgernnorweger nicht. Aber jemand, der sein Norwegisch nicht gut kann, wird gar nicht erst Lehrer. Und es gibt immer und überall Möglichkeiten, etwas nachzuschlagen. Meinen irren Anfänger-Akzent konnte ich übrigens auch ablegen, keine Sorge.
Dreh das Gedankenexperiment doch mal um: Wärst du automatisch ein guter Deutschlehrer, nur weil du Deutscher bist? Kannst du alle Regeln auswendig und auch noch so erklären, dass jemand ohne Sprachkenntnisse sie versteht? Nein? Warum gehst du dann davon aus, dass ein Norweger automatisch der bessere Norwegischlehrer ist?
„Ich möchte die Sprache direkt in Norwegen lernen.“
Bevor du jetzt deine Sachen packst, denk dran: In den Sprachkursen sitzen Menschen unterschiedlicher Nationen und im Normalfall kann der Lehrer auch kein Deutsch (warum sollte er?). Der Unterricht ist anfangs vielleicht auf Englisch, später dann ausschließlich auf Norwegisch. Die Lehrbücher ebenso. Schon mal daran gedacht? Reichen deine Englischkenntnisse, um umständlichen Grammatik-Erklärungen folgen zu können und all die gelernten norwegisch-englischen Vokabelpaare problemlos ins Deutsche zu übersetzen? Hand auf's Herz: Leicht wird das nicht.
Ein deutscher Lehrer könnte dir jedenfalls wesentlich verständlicher – in deiner eigenen Sprache – all die Bedeutungen, Regeln und Ausnahmen erklären, die am Anfang wichtig für dein Verständnis und deinen Lernerfolg sind, und noch vieles mehr. Übrigens habe ich durchaus auch Schüler, die zu mir kommen, nachdem sie in Norwegen auf B2/C1-Niveau gelernt haben, „um das Ganze einfach nochmal vernünftig auf Deutsch erklärt zu bekommen und sicher sein zu können, wirklich alles verstanden zu haben“. Just sayin'.
„Ich wandere nach Norwegen aus und lerne dann vor Ort.“
Erst nach dem Auswandern anzufangen, eine Sprache zu lernen, ist mit den Worten Christian Kopperuds „det dummeste du kan gjøre“. Solltest du planen, komplett nach Norwegen zu ziehen und dir dort ein neues Leben aufzubauen, lern bitte VORHER die Grundlagen, und damit meine ich deutlich mehr als „Hei“ und „Takk“. Eine Sprache lernt sich nicht durch Zauberhand, und die ersten Wochen und Monate ohne vernünftige Sprachkenntnisse in einem anderen Land rumzukrebsen, ist unpraktisch für dich und deinen Job, unhöflich gegenüber allen anderen und irgendwie doch auch verschwendete Zeit, oder nicht? Was du alles verpasst!
„Ich mache in den Ferien einen Auslandssprachkurs.“
Das funktioniert sogar grundsätzlich. Aber auch nicht sofort und nicht von selbst, denn auch „direkt in Norwegen“ muss man sich wundersamerweise hinsetzen und lernen, 24/7 Sprachberieselung hin oder her. Die allermeisten sprechen nicht nach drei Wochen fließend, und nach drei Monaten auch nicht unbedingt; dieser Zeitaspekt wird oft unterschätzt. Einen so langen Auslandsaufenthalt kann sich nicht jeder mal eben leisten. Die Idee ist super, kann aber bei null Vorkenntnissen zu Frustration führen.
Außerdem ist dein Lehrer da oben dann immer noch Norweger und erklärt auf der Sprache, die du ja gerade noch nicht verstehen und auf der du nichts nachfragen kannst.
Ideal ist ein Auslandssprachkurs deshalb dann, wenn man bereits die Grundstruktur der norwegischen Sprache erlernt hat und auf halbwegs sicheren Kommunikationspfaden wandelt. Ist man sich der eigenen Unsicherheiten oder Probleme bewusst, kann man gezielter nachfragen und lernen, nimmt also mehr vom Unterricht mit. Somit vertieft und erweitert man wesentlich einfacher die bereits vorhandenen Kenntnisse und kann sich dann z. B. langsam mit den Aussprache-Nuancen beschäftigen.
Mein Tipp: Zunächst hier mit einem deutschen Norwegischlehrer die Grundlagen gut lernen und verstehen, mindestens bis Niveau B1, dann in Norwegen den Feinschliff vornehmen. Dann geht eigentlich nichts schief!
„Ich brauche gar keinen Lehrer, ich lerne mit einer App.“
Ach so. Na gut. Dieses wunderliche, aber sehr aktuelle Thema hat hier sogar einen eigenen Blog-Artikel bekommen. Damit ihr ahnt, was euch das bringt und was nicht.
Fazit:
Diese Muttersprachler-Sache ist überhaupt nicht verkehrt, wird meiner Erfahrung nach nur oft überschätzt. Das soll keinesfalls bedeuten, dass ein muttersprachlicher Fremdsprachenlehrer, in unserem Fall also ein Norweger, schlechter unterrichtet oder man seinen Unterricht meiden sollte! Es gibt ganz sicher phänomenal gute norwegische Norwegischlehrer!
Ebenso gibt es aber unterschiedliche Argumente für und gegen beide Seiten, die abgewogen sein wollen bei der Suche nach dem Sprachkurs, der für einen am besten passt. Und ich bin fest davon überzeugt, dass in den meisten Fällen auch oder gerade ein Nicht-Muttersprachler eine sehr gute Wahl ist.
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Achtung, Aussprache: Stumme und auf keinen Fall stumme Buchstaben
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Elisabeth (Sonntag, 21 Juni 2020 18:58)
Vielen, vielen, vielen Dank. Den Artikel werde ich das nächste Mal an meine A1-Studenten schicken, wenn sie ein langes Gesicht machen, weil ich keine Norwegerin bin, aber Norwegisch unterrichte. Genau das ist nämlich auch meine Erfahrung. Als jemand, die den größten Teil ihres erwachsenen Lebens entweder in Norwegen oder Großbritannien verbracht hat und beide Sprachen aus Notwendigkeit fließend spricht.
Und davon mal ganz abgesehen: Meine norwegischen Mitbewohner aus respektive Kristiansand und Haugesund hatten sich mehr als einmal über Dialektunterschiede in der Wolle … komplex ja, aber eben grade bei Norwegisch auch oft dialektabhängig!
Catharina (Montag, 29 Juni 2020 18:35)
Liebe Elisabeth,
vielen Dank für deinen netten Kommentar! Leider sehen tatsächlich manche Schüler es als Nachteil, wenn man kein Muttersprachler ist, das muss ich ebenfalls oft erklären und die Vorteile aufzeigen. Ich freue mich, wenn der Artikel eines Gleichgesinnten dir dabei helfen kann. :-)
Kollegiale Grüße!